Text der Predigt am 14. Februar 2021

Predigt "Gottesdienst - endlich live! " 14. Februar 2021

Liebe Gemeinde,

endlich! Endlich dürfen wir hier wieder zum Gottesdienst zusammenkommen. Mir hat das so sehr gefehlt! Ich habe gerne einige Wochen vor einem Mikro und einer Kamera gepredigt. Es gab ja keine andere Möglichkeit, die Gemeinde zu erreichen. Aber das ist nun etwas komplett anderes, wenn wir hier in echt zusammen kommen und Gottesdienst feiern. Ich sehe die Gemeinde vor mir, kann in die Augen schauen, wir haben uns eben einander zugewinkt, wir spüren die Atmosphäre im Raum, wir nehmen uns wahr und freuen uns über unsere Anwesenheit. Klar, da ist ziemlich viel Abstand zwischen uns, die Maske stört, es ist wegen des Lüftens kalt, wir dürfen nicht singen und wir müssen drinnen und draußen Distanz wahren. Aber wir sind da, körperlich anwesend, und wir feiern Gottesdienst. Was für eine Wohltat!

Die letzten beiden Monate waren für mich eine echte Dürrezeit, und ich hoffe von ganzem Herzen, dass uns das Coronavirus nicht wieder in so einen Rückzug zwingt. Andrerseits möchte ich jetzt auch einmal eine Lanze brechen für das, was ich als digitaler Laie und Gemeindeverantwortlicher in den letzten Monaten neu entdecken und schätzen lernen durfte. Es ist das Internet! Ich habe mit der Gemeinde gelernt, dieses Medium besser zu nutzen, um die gute Nachricht von Jesus Christus zu verbreiten. Klar, eine Homepage hatten wir schon lange zuvor. Aber neu ist, dass wir seit Mai vergangenen Jahres unsere Gottesdienste aufnehmen und sie digital veröffentlichten.

Dabei gab für mich noch ein wichtige Entdeckung: Mir ist noch bewusster geworden, was für großartige Leute wir in unserer Gemeinde haben, die mit dieser Technik umgehen können und die in den vergangenen Monaten mit viel Zeiteinsatz und Sachverstand und Engagement für uns da waren.

Viele Gemeindeglieder haben dadurch Woche für Woche den Gottesdienst mitfeiern können, obwohl sie nicht vor Ort sein konnten. Und es haben sich mit der Zeit auch ganz neue Menschen in diese Übertragungen eingeklinkt, Menschen, die wir teilweise gar nicht kennen. Ab und zu kriege ich mal eine Reaktion, die mich staunen lässt, wer da regelmäßig im Internet mit dabei ist. Das hat es vor Corona nicht gegeben.

Allgemein hat Kirche durch diese Krise die digitalen Möglichkeiten noch mehr entdeckt. Nicht nur Gottesdienstübertragungen, sondern z.B. auch Zoom-Konferenzen oder Whats-App-Ermutigungs-Gruppen, oder Zoom-Hauskreise oder Jugendkreise, ja, manche Chöre haben sogar über den Bildschirm miteinander geübt. Wie hätte das Gemeindeleben wohl ausgesehen, hätte uns die Coronapandemie vor 20, 30 Jahren in den Lockdown gezwungen? Wenn ich versuche, mir das ohne Internet auszumalen, werde sogar ich als digitaler Muffel richtig dankbar für diese Möglichkeiten unserer Zeit.
Und es ist faszinierend, was da alles noch auf kirchlicher Ebene möglich wäre. Meine jungen Kollegen und Kolleginnen haben da eine Menge Ideen. Manche können sich auch eine vollkommen digital organisierte Gemeinde oder Kirche vorstellen und sehen die Zukunft der Verkündigung sowieso vor allem im Netz. Ja, und so wird "digital" wohl auch in der Kirche immer mehr zum neuen "real" werden. Kommunikation wird immer mehr in den virtuellen Raum verlagert. Man sitzt gemütlich zu Hause mit einem Kaffee neben dem Bildschirm und fühlt sich mittendrin. Man liegt gemütlich im Bett und schaut sich einen. Youtube-Gottesdienst an und wenn einem das Programm nicht mehr gefällt, dann kann man ja problemlos umschalten, dorthin, wo es die coolere Musik und die besseren Predigten gibt.

Ist das der Trend für die Zukunft der christlichen Gemeinde? Ist das auch der Trend für die Zukunft unserer Gemeinde? Hat Corona endgültig die Tür geöffnet für eine Gemeindewirklichkeit, die sich zunehmend von der echten Begegnung von Mensch zu Mensch verabschiedet? Wird Gemeinde in Zukunft immer mehr im digitalen Raum stattfinden anstatt im Kirchenraum?

Hoffentlich nicht, denke ich. Denn das würde an meinem Bedürfnis nach Glauben und nach christlicher Gemeinschaft komplett vorbeigehen. Ich kann auf Dauer von digitaler Kommunikation nicht leben. Mein Glaube braucht mehr als Gottesdienstübertragungen. Selbst wenn die noch so gut gestaltet sind. Nein, ich brauche die echte Begegnung, den herzlichen Händedruck oder gar die Umarmung, ich brauche den aufmunternden Blick der Schwester, die tröstende Geste des Bruders, das seelsorgerliche Gespräch am Rande, das gemeinsame Singen und Beten, den Abendmahls-Abschluss-Kreis.

Und als Prediger brauche ich Menschen, denen ich in die Augen schauen kann, Geschwister, die auf das Gesagte reagieren. Vor einer Kamera zu predigen, das kann ich mir zwar professionell aneignen, aber es ist etwas komplett anderes, wenn ich nun zu sichtbar anwesenden Menschen sprechen darf und mit euch im Live-Kontakt bin.

Zusammengefasst: Die digitale Form von Gottesdienst und Gemeindeleben ist notwendig und gut in Zeiten von Corona. Aber ich finde, sie darf nicht zur gleichwertigen Alternative zu tatsächlichen Begegnungen und Präsenzgottesdiensten werden. Digital darf auch in Zukunft eine Bereicherung für unser Gemeindeleben sein, aber analog muss der Standard bleiben.

Das ist nicht nur eine emotionale Forderung von mir, sondern ich möchte im Folgenden auch meine Gründe nennen, warum Gottesdienst und christliches Gemeindeleben mehr brauchen als digitale Präsenz.

Eine Vormerkung allerdings zu meinen Begründungen: Es gibt Menschen, die sind sehr froh, dass es diese Möglichkeit der Gottesdienstaufnahmen gibt oder auch der ausgeschriebenen veröffentlichten Predigten. Z.B. Unsere älteren und kranken Geschwister oder die, für die die Gefährdungssituation durch Corona einfach zu groß ist. Etliche würden gerne da sein, können aber nicht. Und ich möchte den allen sagen, dass ich niemanden von euch mit meinen Gedanken kritisieren will. Vielmehr geht es mir hier um die grundsätzliche Frage, was für einen Gottesdienst wichtig ist. Warum ist es grundsätzlich wichtig, dass wir als Menschen aus Fleisch und Blut hier als Gemeinde zusammenkommen.

Drei Überschriften dazu: 1. Mit allen Sinnen feiern. 2. Befruchtende Gegenseitigkeit 3. Und das Wort wurde Fleisch

1. Mit allen Sinnen feiern

Wenn wir hier im Gemeindezentrum zum Gottesdienst zusammenkommen, dann sind alle unsere Sinne aktiv. Wir sehen uns. Und wir hören uns. Und wir nehmen noch mehr von uns wahr: Wir spüren die ganze Atmosphäre. Wir nehmen den Geruch wahr. Hoffentlich keinen schlechten, sondern so etwas wie z.B. diesen herrlichen Geruch, wenn an Erntedank da vorne Äpfel, Kohlköpfe oder frisches Brot duften. Und wir spüren uns! Als es noch nicht ständig hieß: "Distanz wahren!", da wurden wir z.B. regelmäßig mit einem Händedruck begrüßt. Ja, und schmecken tat es auch, wenn wir unten beim Kirchenkaffee oder zum Potluckessen zusammenkamen.

"Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist" - diese Einladung des Psalmbeters ist eigentlich das Motto über jedem Präsenzgottesdienst. Schmecken und sehen, mit allen Sinnen feiern. Digital zu feiern bedeutet dagegen, eingeschränkt zu sein. Wir sehen jemanden bzw. ein Geschehen und wir hören es, aber das war es schon. Ein Gottesdienst über den Bildschirm zu verfolgen ist leider ein eingeschränktes Sinnesvergnügen.

Etliche Jahre durfte ich eine blinde Frau in meiner ehemaligen Gemeinde begleiten. Gaby sah überhaupt nichts, und sie hörte auch ganz schlecht. Trotzdem lernte sie, mit ihrem eingeschränkten Sinnesrepertoire die Welt wahrzunehmen. Wenn der Wind pfiff und es deshalb in ihren Hörgeräten fürchterlich rauschte, dann sagte sie immer: Heute sehe ich schlecht! Weil sie gelernt hatte, mit den Ohren ihr fehlendes Sehen auszugleichen. Besonders gut konnte Gaby die Atmosphäre in einem Raum erspüren. Es war wie ein sechster Sinn. Sie betrat einen Raum und sie war so feinfühlig, dass sie die leisen Schwingungen in diesem Raum wahrnahm. Sie spürte die Präsenz der Menschen. Und in diesen leisen Schwingungen nahm sie auch die Präsenz des unsichtbaren Gottes wahr.

Ich behaupte: Wenn wir auf Dauer Gottesdienste nur über einen Bildschirm verfolgen, dann werden uns solche Ebenen der Gottesbegegnung immer mehr verloren gehen.
Jesus hat einmal gesagt: "Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen." Ich deute dieses Wort bewusst auch so: Im sichtbaren, hörbaren, spürbaren Zusammenkommen der Gemeinde, da erleben wir auch die unsichtbare Präsenz unseres lebendigen Herrn - auch und vor allem durch die leibliche Präsenz unserer Geschwister.

2. Befruchtende Gegenseitigkeit

In den letzten Monaten habe ich an etlichen Zoom-Konferenzen teilgenommen. Das war ein wichtiges und hilfreiches Instrument in dieser Zeit, wo wir auf konkrete Sitzungen und Zusammenkünfte verzichten sollten. Aber das war jedesmal sehr anstrengend. Nach eineinhalb oder zwei Stunden Zoom-Konferenz fühlte ich mich oft wie erschlagen. Warum ist das so anstrengend? Du siehst auf deinem in Kästchen unterteilten Bildschirm 6 oder 10 oder gar 15 winzige Gesichter vor dir. Du kannst einen nach dem anderen anschauen, vor allem den, der gerade redet, aber du hast irgendwie keine Gesamtschau und keinen Gesamteindruck von der Gruppe. Zudem ist ganz viel Disziplin notwendig, dass wirklich einer nach dem anderen nur redet, was nicht immer gelingt. Und noch eines ist mir aufgefallen. Es fehlt irgendwie die Gegenseitigkeit. Ich weiß zwar, dass ich als Bild für die anderen sichtbar bin, aber ich weiß nicht, wer mich gerade anschaut. Und manche vergessen das auch, dass man sie sieht und dann kommen solche lustige Szenen zustande, dass jemand in der Nase pobelt oder gelangweilt nebenher auf dem Handy spielt. Bei einer echten Sitzung geschieht so was nicht, da sind wir alle präsent und nehmen uns gegenseitig wahr.

Beim Präsenz-Gottesdienst ist das auch so. Da sind wir lebendiger, aktiver Teil der Gottesdienst-Gemeinschaft. Wir sind wahrnehmbar in unserem Da-sein. Man bemerkt uns, selbst wenn wir ganz still hinten in der letzten Reihe sitzen.
Beim Schauen eines Gottesdienstes über einen Bildschirm ist das anders. Da sind wir rein passiv. Das kann angenehm sein, weil man sich dabei vielleicht gemütlich im Trainigsanzug auf dem Sofa räkelt. Aber das zeigt auch: du bist nicht wirklich Teil des Geschehens. Denn du bist nicht live dabei. Und du wirst auch nicht wahrgenommen.

Ich behaupte: Zu einem tieferen Gottesdiensterlebnis gehört Gegenseitigkeit.

Ich muss noch einmal erwähnen, dass es für mich nicht leicht ist, wenn ich nur vor einem Mikrofon und einer Kamera predige. Ich sehe die Menschen nicht vor mir, zu denen ich spreche. Ich nehme sie nicht wahr, ich kann nicht mit ihnen gewissermaßen ins Schwingen kommen, ihre Blicke lesen, auf ihr Verhalten reagieren. Ich habe in den letzten Monaten immer vor meinen Gottesdienstaufnahmen gebetet: Heiliger Geist, bitte vollbringe jetzt das Wunder, dass diese Worte, die ich ins Leere spreche, bei den späteren Zuhörerinnen und Zuhörern ankommen und ihre Herzen erreichen. Trotzdem war dann jedes Mal nach einer Predigt so ein Fragezeichen in mir, weil ich nicht spüren konnte, ob meine Worte ankommen werden. Ich lernte dabei allerdings, noch mehr auf Gottes Zusage zu vertrauen, dass sein Wort nie leer zurückkommt und es bewirken wird, wozu der Herr es aussendet.

Gegenseitigkeit ist das Stichwort. Wenn wir in diesem Raum Gottesdienst feiern, dann bilden wir eine lebendige Gemeinschaft, die sich gegenseitig befruchtet. Jeder und jede ist dabei wichtig. Nicht nur die Aktiven, die vorne stehen, sondern auch Frau X in der letzten Reihe. Wir sind da, Teil eines Geschehens, das wir mit unserem Dasein beeinflussen, und wenn das auch nur minimal ist. Zuhause vor dem Bildschirm geht das leider nicht.

3. Und das Wort wurde Fleisch

Das ist für mich der wichtigste Punkt. Als Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, beschloss, diese Welt zu retten, da tat er es nicht durch eine SMS oder eine Whats-App oder eine wunderbare Bildpräsentation mit schöner Musik untermalt, oder durch irgendein großartiges virtuelles Ereignis, nein, der Evangelist Johannes beschreibt die Rettungstat Gottes so: "Und das Wort wurde Fleisch und wohnte mitten unter uns. Und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater."

Gottes Herrlichkeit ist in Jesus Christus als realer Mensch zu uns gekommen. Der ewige und allmächtige Gott kam als echtes menschliches Baby zur Welt, wuchs heran, wurde Teenager, lernte ein Handwerk und fing als 30jähriger an zu predigen und zu heilen und mit seinen Jüngern durch das Land zu ziehen. Jesus war keine Idee oder ein Geistwesen, sondern ein echter Mensch. Das Wort wurde Fleisch. Die virtuelle Realität des Wortes wurde haptische Wirklichkeit. Begreifbar, anfassbar. Und Jesus legte großen Wert darauf, den Menschen nahe zu kommen. Nicht nur mit seinen Gedanken, Worten und Ideen, sondern auch in intensiven, persönlichen Begegnungen. Jesus berührte Menschen ganz konkret - segnende Hände, heilende Gesten. Und Jesus litt auch körperlich am Kreuz. Gab nicht einen Scheinleib dahin, um uns Frieden zu schenken, sondern opferte seinen vor Schmerzen stöhnenden Körper. Doch Gott rief ihn dann am dritten Tag aus dem Grab heraus. Als was? Als Geist, als Engelwesen, als virtuelle Projektion? Nein, der Auferstandene begegnete den Jüngern in einer neuen Leiblichkeit. So berichten es uns die Evangelien. Man konnte ihn wirklich sehen, Jesus aß mit den Jüngern und Thomas durfte ihn sogar anfassen. Und die wunderbare Verheißung der Bibel lautet: Dass Christus auch uns einmal durch den Tod hindurch ins ewige Leben führen wird. Und Paulus beschreibt im 1. Korintherbrief, dass diese Auferstehungsexistenz wirklich einmal ein leibliche sein wird. "Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib." (1.Kor. 15,44)

Die Leiblichkeit ist ein ganz wichtige Dimension des christlichen Glaubens. Und deswegen ist es, glaube ich, auch wichtig, dass die Grundform eines Gottesdienstes ein leibliches Zusammenkommen sein sollte. Ich glaube, Jesus hat in den letzten Monaten darunter gelitten, dass der Leib seiner Gemeinde nur körperlos und eingeschränkt zusammen kommen konnte. Ich glaube aber auch, dass sich Jesus gleichzeitig an den digitalen Möglichkeiten gefreut hat, die es uns dennoch ermöglichten, in Kontakt mit seinem Wort und miteinander zu bleiben. Und dann glaube ich schließlich, dass Jesus es sich von ganzem Herzen wünscht, dass bald wieder, wenn die Krise überwunden ist, von überall her die Menschen strömen, um miteinander Gottesdienst zu feiern, in echt.

In meinem ganzen Pastorenleben zusammengenommen habe ich diesen einen wunderschönen Satz nicht so oft gehört wie in den letzten Wochen: "Ach, ich vermisse den Gottesdienst so." Im Vermissen haben wir neu schätzen gelernt, was wir bisher für so selbstverständlich gehalten haben. Lasst uns in Zukunft mit ganz neuer Freude im Namen unseres Herrn Jesus Christus hier zusammenkommen und mit allen Sinnen feiern, dass er unsere Mitte ist. Amen

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