Text der Predigt am Sonntag, den 27. September

27.09.2020

PREDIGT zu Lukas 17, 11-19

11 Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch das Gebiet zwischen Samarien und Galiläa zog. 12 Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne 13 und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! 14 Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. 15 Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme 16 und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. 17 Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? 18 Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? 19 Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

Liebe Gemeinde,
im Krieg wurde ein junger Mann mit einem völlig zerfetzten Gesicht zum Lazarettarzt gebracht. Der Chirurg machte sich sofort daran, das Gesicht wiederherzustellen. Allmählich entstand unter den geschickten Händen des Arztes das zerstörte Gesicht wieder. Dann kam die letzte Phase der Operation. Dem Patienten wurde der zweite Mundwinkel zugenäht. Am Ende richteten die Helfer den Verwundeten auf. Da er infolge der örtlichen Betäubung noch keine Schmerzen empfand, bat ihn der Arzt: "So, sagen sie mal was!". Der junge Mann bewegte ganz vorsichtig seine Lippen und artikulierte dann mit einem kleinen Lächeln: "Dankeschön!"
Eine meiner Lieblingsgeschichten. Das erste Wort, das der gerettete junge Mann aussprach war ein Dankeschön. Er hätte ja auch irgendetwas Belangloses sagen können. 1,2,3, wie beim Mikrotest. Oder er hätte über seine Schmerzen klagen können... aber er sagte Danke. Das war ihm das Wichtigste. Und ich glaube, darum geht es auch in unserem heutigen Predigttext, dass uns bewusst wird, wie wichtig das Danken ist, denn es macht die erlebte Hilfe erst rund und komplett.

Gehen wir nochmal den Bibeltext entlang - fünf Überschriften dazu.

1. Gemeinsames Leid wird zum gemeinsamen Gebet

Ganz am Rande eines Dorfes begegnet Jesus 10 Leprakranken, die ihn bitten: Jesus, erbarme dich unser. Natürlich richten sie diese Bitte aus der Distanz heraus an ihn, denn als ansteckend Kranke waren sie in lebenslange Quarantäne verbannt. Ihr Leid war ein körperliches, ein soziales und ein geistliches, denn sie litten nicht nur unter dem Zerfall ihres ganzen Körpers, sondern sie wurden auch gesellschaftlich abgeschottet und religiös abgestempelt als Unreine. Doch dann hörten sie eines Tages von Jesus, dem Heiler, der in ihrer Nähe vorbeikommt. Und ihre gemeinsame Not verband sie so sehr, dass sie gemeinsam um das Erbarmen Jesu flehten. Sie näherten sich Jesus nicht einzeln, sondern miteinander. Und sie baten ganz bewusst: Erbarme dich UNSER.

Gemeinsame Not verbindet. Und gemeinsame Not kann auch zu einem gemeinsamen Gebet werden. Das erleben wir auch heute: Nach dem 2. Weltkrieg waren die Kirchen voll. Und auch bei den Montagsdemos in Leipzig und anderen Orten in der DDR. Oder ich denke auch an die vollen Kirchen nach dem 11. September und in anderen Notsituationen: Flutkatastrophe, Terroranschläge, Waldbrände usw. Gemeinsame Not wird immer wieder auch zu einem gemeinsamen Gebet.

Doch gilt das eben vor allem für das Bittgebet. Die gemeinsamen Dankesgebete nach erlebter Rettung und Heilung erleben wir eher selten bis gar nicht. Wer dankt heute z.B. noch Gott rund um den 3. Oktober für das großartige Geschenk der Wiedervereinigung? Oder: Welche Bedeutung hat für uns noch das Erntedankfest als Ausdruck einer Lebenshaltung der Dankbarkeit. Dank dafür, dass wir in unserem Land so wunderbar versorgt sind - trotz Corona und allen möglichen Einschränkungen?

Nur einer von den 10 Leprakranken kehrte nach erfahrener Heilung um und dankte. 10 bitten, einer dankt. Verhältnis 9:1.

2. Jesus heilte sie dennoch alle

Was mir auffällt bei den Leprakranken ist nicht nur ihre Gemeinsamkeit im Bitten, sondern auch im Glauben.
Ja, alle hatten offensichtlich ein ganz tiefes Vertrauen zu Jesus gehabt. Schauen wir uns dazu ihre Heilung etwas genauer an. Sie geschah ja nicht so, dass Jesus sie zuerst heilte und sie dann wegschickte zur Überprüfung ihrer Heilung bei den Priestern. Nein. Jesus schickte sie weg und erst auf dem Weg zu den Priestern wurden sie gesund. Das heißt, sie haben sich alle auf den Weg gemacht in einem tiefen Vertrauen, dass sie geheilt werden. Sie zeigten gemeinsam einen großen Glauben. Sie trauten Jesus alles zu. Und aus diesem großen Glauben heraus wurden sie geheilt.

Mir ist dieses alle hier ganz wichtig. Beim Hören unseres Bibelabschnittes denken wir vielleicht insgeheim: Na ja, eigentlich hätte nur der eine, der gedankt hat, die Heilung verdient gehabt. Und eigentlich hätten die 9 anderen gar nicht geheilt werden sollen zur Strafe für ihre Undankbarkeit. Aber Fakt ist ein anderer: Jesus heilte sie alle, den Dankbaren und die Undankbaren.

In der Bergpredigt sagt Jesus: "Gott lässt seine Sonne aufgehen über Gute und Böse und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte." Mt 5,45
Gott verteilt seine Güte nicht nur an die, die alles richtig machen. Seine Güte ist größer, sein Herz ist weiter, seine Fürsorge ist nicht nur für die da, die es anscheinend verdient haben. Gott sei Dank, sonst wüsste ich nicht, wie es um mich stehen würde.

Jesus heilte sie alle, den Dankbaren und die Undankbaren.

3. Doch einer kehrte um und dankte

Für mich ist das sehr eindrücklich in unserer biblischen Geschichte, wie eng hier Umkehren und Danken zusammengehören. Danken scheint nichts Automatisches, Selbstverständliches zu sein, wie so eine natürliche Regung. Nein, Danken hat hier offensichtlich etwas mit einer ganz bewussten Umkehr zu tun und ist ein ganz bewusster Willensakt. Der eine Geheilte machte sich nach seinem Besuch beim Priester bewusst wieder auf den Weg zurück zu Jesus, um ihm zu danken. Die anderen gehen ihren Weg weiter. Danken ist in der Regel gar nichts Natürliches und Selbstverständliches, sondern oft ein bewusster Willensakt.

Deshalb heißt es auch im Psalmwort: "Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat." Hier fordert der Beter sich selbst auf, sich daran zu erinnern, was Gott Gutes getan hat und ihn dafür zu loben und ihm zu danken. Das ist für uns alle wichtig und das ist auch der Grund, warum wir in der Kirche Erntedank feiern.

Interessant ist ja diesbezüglich auch der lateinische Begriff für "danken": "gratiam referre" - "Dank erweisen", oder wörtlich könnte man auch übersetzen: "den Dank zurückbringen, den Dank zurücktragen". Beim Danken wird etwas bewusst zurückgebracht zu seinem Ursprung, zu dem, dem man etwas verdankt.

Und genau dazu will uns auch das Erntedankfest einladen im Kirchenjahr. Denn es lädt uns ein zu diesem bewussten Willensakt, dass wir den Dank für alle Versorgung in unserem Leben zu dem bringen, der für uns sorgt.

Wir haben über Jahre bei uns diese schöne Tradition gehabt, dass wir singend unser Erntedankopfer nach vorne tragen und vor dem Erntedanktisch ablegen. Das wollen auch in diesem Jahr tun, wenngleich ohne Singen und erst ganz zum Ausgang hin. Aber für mich ist das ganz wichtig, dass ich mich auch in diesem Gottesdienst ähnlich wie dieser geheilte Leprakranke bewusst auf den Weg mache und meinen Dank in Form meiner Erntedankspende nach vorne zu Gott trage und unter dem Kreuz ablege. Ehrlich gesagt, habe ich in diesem Jahr mein Erntedankopfer schon vor einer Woche überwiesen. Aber dennoch werde ich am Ende des Gottesdienstes noch einmal ganz bewusst eine Kollekte vorne ablegen und von Herzen Danke sagen. Danke, lieber Gott, für die Fürsorge in diesem Jahr.
"Gratiam referre" den Dank zurücktragen zu dem, dem wir alles verdanken, unser Leben und alles, was uns zum Leben gegeben ist.

Früher habe ich im Fernsehen immer sehr gern die Serie mit Inspektor Columbo angeschaut. Und der hatte immer so eine wunderbare Angewohnheit. Der hat die Verdächtigen immer in ein recht belangloses Gespräch verwickelt und dann tat er so, als ob er gehen wollte. Aber im letzten Moment, schon beim Hinausgehen, drehte er sich dann noch einmal rum, so als ob er etwas vergessen hatte. Und als Columbofan wusste man in diesem Augenblick immer: Jetzt kommt die entscheidende Frage, jetzt kommt das Wichtigste. Und das ist meine letzte Überschrift:

4. Danken ist das Wichtigste

Der Leprakranke wurde geheilt, aber bevor er seinen Weg weiterging, kehrte er wie der Inspektor Columbo noch einmal um und tat das Wichtigste: Er dankte dem, dem er seine Heilung zu verdanken hat. Erst der Dank machte seine Heilung komplett. Die anderen Neun wurden gesund, aber nicht heil.

"Whole" ist das englische Wort für "heil". "Whole bedeutet aber zugleich auch "ganz, komplett, vollständig". Einer Heilung ohne Dank fehlt das Entscheidende, das sie erst rund und ganz macht. Und das gilt auch für das Erleben von jeglicher Fürsorge und Hilfe, ohne Dank fehlt ihr das, was sie "whole", komplettiert und vollständig macht.

Im letzten Jahr, als es mir in meiner Trauer sehr schlecht ging, nahm mich mein Freund, Pastor Thomas Mozer anstatt seiner Frau mit zu seinem Kurpastorendienst in Hohenschwangau im Allgäu. Wir teilten dort vieles, Wandern, Kochen, Essen, Beten, ja sogar das Ehebett (was nicht so einfach war). Es war eine Zeit, die mir sehr gut tat. Aber eines hat mich an Thomas am meisten beindruckt. Er hat die Angewohnheit, sich für alles Mögliche höflich zu bedanken. Wenn ich eine Wanderung geplant hatte: Jedes Mal am Ende ein: "Danke für die schöne Wanderung". Wenn ich ihn im Auto mitgenommen hatte: Jedes Mal beim Aussteigen: "Danke fürs Fahren." Nach dem Essen: "Danke für das gemeinsame Essen." Das beeindruckte mich und es machte diese Zeit noch wertvoller. Der Dank machte jede Kleinigkeit zu etwas Besonderem. Und das ist mir hängengeblieben: Danken ist schließlich das Wichtigste.

Warum eigentlich?
Denn Danken schafft Beziehung. Danken vertieft Beziehung. Durch seine freundliche Dankbarkeit ist mir Thomas noch mehr ans Herz gewachsen.
Durch sein Dankeschön hat der junge Mann im Feldlazarett eine Beziehung zwischen ihm und seinem ärztlichen Lebensretter geschaffen. Durch sein Zurückkehren zu Jesus hat der geheilte Leprakranke erst eine wirkliche Beziehung zu Jesus eröffnet.
Durch unser Danken in diesem Gottesdienst öffnen wir unsere Herzen für den, der so wunderbar für uns sorgt und uns bis hierher gebracht hat.
Danken schafft Beziehung.

Um Tante Frida kümmerte sich eigentlich niemand so richtig. Auch von ihren Stiefkindern kam fast nie ein Besuch oder einer Telefonat mit der Frage: Wie geht es dir? - Höchstens der obligatorische Geburtstagsanruf alle Jahre wieder. Doch dann ging es mit der wohlhabenden Tante Frida aufs Ende zu. Und plötzlich wollten ganz viele Menschen bei ihr auftauchen und ihr irgendetwas belangloses Gutes tun. Und das machte die Tante gar nicht glücklich, denn sie spürte zutiefst: Die wollen nur etwas von mir, mein Erbe, doch sie wollen nicht wirklich mich.

Manchmal behandeln wir Gott ähnlich. Wir wollen nur die Gabe von ihm, aber suchen nicht den Geber. Und manchmal müssen wir uns selbstkritisch fragen: Kommen wir nur dann zu Gott, wenn wir gewissermaßen vom reichen Onkel im Himmel etwas erwarten und erbitten? Oder geht es uns wirklich um eine echte Beziehung zu unserem Vater im Himmel? Menschen, die in ihren Gebeten danken, zeigen, dass es in ihnen im Glauben um mehr geht, als nur etwas von Gott zu bekommen, sondern es geht ihnen wirklich um eine Herzens-Beziehung zu Gott. Und da kommt eben beides vor, das vertrauensvolle Bitten, aber auch das aufrichtige Danken.

Danken schafft Beziehung. Danken macht eine erlebte Hilfe oder erlebte Fürsorge erst rund und komplett. Danken macht "whole" - heil und ganz.
Darum lasst uns wie der geheilte Leprakranke heute umkehren und unseren Dank zu dem zurücktragen, dem wir alles verdanken.
Amen

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